Historischer Überblick
Unter „Hunnen“ werden im Laufe der Zeit verschiedene Gruppierungen verstanden, von den Völkern, zu deren Abwehr die Chinesische Mauer erbaut wurde, bis zu jenen Verbänden, die unter der Herrschaft des sagenhaften Königs Attila († 453 n. Chr.) standen und Europa verheerten. Dies ist jedoch gesamthaft gesehen nur eine relativ kurze Episode. Wesentlich wirkungsstärker waren die Hunnen für die Geschichte, die Kultur und nicht zuletzt auch für die Münzprägung in Zentralasien und Nordindien, wie diese Ausstellung zeigen soll.
Die große Wanderbewegung der Hunnen aus dem mittelasiatischen Altai-Gebirge nach Westen begann im Laufe des 4. Jahrhunderts. Um 375 n. Chr. hatte ein Teil der späteren Attila-Hunnen bereits die Wolga überschritten und stieß weiter nach Europa vor. Andere Gruppen wendeten sich nach Süden, fielen in der Landschaft Sogdiana (im heutigen Usbekistan) ein, überschritten den Fluss Oxus (Amudarja) und setzten sich in Baktrien (das heutige Nord-Afghanistan) fest. Von dort führte sie ihr Weg weiter über die Gebirgsketten des Hindukusch bis in die Regionen Gandhara und Uddiyana (Swat-Tal), den Punjab (im heutigen Pakistan) und weiter nach Nordwest-Indien.
Die zeitgenössischen griechischen und römischen Historiker ließen kein gutes Haar an den Hunnen. Sie werden als „zweibeinige Bestien“, hässlich und grausam beschrieben. Gefürchtet war die hunnische Reiterei, die den römischen wie persischen Truppen arg zusetzte. Auch die Inder sagten den Hunnen nichts Gutes nach und schoben ihnen gar die Zerstörung buddhistischer Klöster und anderer religiöser Einrichtungen in die Schuhe. Heute wissen wir, dass davon keine Rede sein kann. Das zeigen nicht nur die von den Hunnen in Zentralasien und Indien geprägten Münzen, die in ihre Bildersprache verschiedene religiöse Symbole aus dem Buddhismus, Hinduismus und Zoroastrismus aufnehmen, sondern auch zahlreiche andere archäologische Hinterlassenschaften, die die Hunnen als Stifter buddhistischer Heiligtümer und Förderer einheimischer Religionen ausweisen. Während von den europäischen Hunnen keine eigene Münzprägung überliefert ist, entfalteten ihre „iranischen“ Verwandten eine überaus reiche Prägetätigkeit, die ein einzigartiges Zeugnis für die Geschichte Zentralasiens und Nordwest-Indiens in der Spätantike darstellt. Sie bietet ungeahnte Einblicke in das Selbstverständnis der hunnischen Herren und zeigt, welch vielfältige politische, wirtschaftliche und kulturelle Einflüsse auf sie wirkten.
Beherrschende Macht in der Region waren die persischen Sasaniden (s. Vitrine 2), die stets danach trachteten, auch in Zentralasien und Nordwest-Indien Präsenz zu zeigen. Nach der Mitte des 3. Jahrhunderts hatten die Sasaniden bereits Teile des zerfallenden Kuschan-Reichs in Zentralasien erobert, und sie standen ab der Mitte des 4. Jahrhunderts in ständiger Auseinandersetzung mit den Hunnen, die ihre nordöstlichen Grenzen bedrohten. Mit dem Vordringen der Hunnen nach Indien kam es auch zur Konfrontation mit den Herrschern der mächtigen Gupta-Dynastie, die ihrerseits versuchten, den hunnischen Vormarsch zu stoppen (s. Vitrinen 5 und 9). Allen Widerständen zum Trotz gelang es den Hunnen jedoch, sich in den Kernzonen ihres Herrschaftsbereichs zu behaupten, der sich von Baktrien bis in den Punjab erstreckte. Allerdings darf man sich dieses Hunnenreich nicht als einheitliches Gebilde wie das Imperium Romanum vorstellen; es bestand vielmehr aus zahlreichen größeren und kleineren Herrschaften. Sie wurden von Königen verschiedener Stammesverbände regiert, die mitunter auch gegeneinander zu Felde zogen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in der Münzprägung wieder, die ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Münzausgaben und ihren Prägeherren offenbart.
Die Münzprägung
Vielfältig sind auch die in der Bildersprache der hunnischen Münzen dokumentierten Einflüsse. Bei den Herrschaftsinsignien spielen die sasanidischen Kronen eine dominierende Rolle, die in mannigfacher Weise kopiert, aber auch mit neuen Elementen bereichert werden. In Baktrien herrscht kuschanischer Einfluss vor, während in Gandhara und dem Punjab indische Elemente, so etwa solche aus dem Bereich des Buddhismus und Hinduismus, Platz greifen. Hinzu treten genuin hunnische Ausdrucksformen, wie die künstliche Schädeldeformation, die vor allem bei dem Hunnenstamm der Alchan als besonderes Identitätsmerkmal und Ausdruck königlicher Würde prominent ins Bild gerückt wird (s. Vitrinen 6, 7, 8, 9).
Für die Beschriftung ihrer Münzen bedienten sich die Hunnen der lokalen, in den einzelnen Regionen vorgefundenen Idiome. So wird auf den in Baktrien geprägten Münzen überwiegend das Baktrische, eine ostiranische Sprache, geschrieben, und zwar in einer leicht abgewandelten Form des griechischen Alphabets, während südlich des Hindukusch, in Kabulistan, Gandhara und dem Punjab, neben dem Baktrischen auch das sasanidische Mittelpersisch (Pehlevi) sowie das indische Sanskrit (geschrieben in Brahmi-Schrift) Verwendung finden. Häufig sind die Münzen hier zweisprachig beschriftet – eine Sitte, die schon im 2. Jahrhundert v. Chr. von den indo-griechischen Königen in diesem Raum angewandt wurde.
Kidariten, Alchan, Nezak, Hephthaliten
Die Münzen zeigen, dass wir es mit vier großen Stammesverbänden zu tun haben. Beim ersten handelt es sich um die Kidariten, die sich vielleicht mit Duldung der Sasaniden in Baktrien niederließen und dort nach 370 n. Chr. die Verwaltung von den sasanidischen Gouverneuren übernahmen (s. Vitrine 3). Sie sind aber auch nördlich des Oxus, in Sogdien, fassbar und haben südlich des Hindukusch, in Gandhara, Uddiyana und dem Punjab, Münzen geprägt (s. Vitrinen 4 und 5).
Die zweite hunnische Macht, die schon genannten Alchan, übernahmen nach 380 v. Chr. eine sasanidische Münzstätte in Kabulistan (in den zeitgenössischen Quellen als Kapisi bezeichnet) und breiteten sich von dort nach Osten über den Khyber-Pass nach Gandhara, Uddiyana und den Punjab aus. Hier trafen sie auf die Kidariten, welche sie schrittweise verdrängten (s. Vitrinen 6, 7, 8, 9).
Als dritte Gruppe setzten sich die Nezak gegen Ende des 5. Jahrhunderts in Zabulistan (Raum Ghazni, Süd-Afghanistan) fest und übernahmen schließlich auch das nördlich angrenzende Kabulistan in ihren Herrschaftsbereich (s. Vitrine 11).
Die Hephthaliten (s. Vitrine 10), der vierte Stammesverband, brachten mit dem Sieg über den Sasaniden-König Peroz im Jahre 484 n. Chr. Baktrien in ihre Gewalt und besetzten schließlich sogar die sasanidische Garnisonsstadt Merw (im heutigen Turkmenistan). Den Hindukusch haben die Hephthaliten jedoch nie überschritten. Eine Zäsur in der Geschichte der hunnischen Völker stellte das Jahr 560 n. Chr. dar, als die Hephthaliten eine vernichtende Niederlage gegen den sasanidischen König der Könige Chosro I. (539–571) erlitten. Chosro hatte eine Allianz mit den Westtürken, der frühesten bedeutenden türkischen Gruppierung, geschmiedet, die sich ihrerseits angeschickt hatten, die hephthalitische Vorherrschaft in Zentralasien zu brechen. Knapp davor war schon der Alchan-König Mihirakula in Indien (s. Vitrine 9) von einer Gruppe indischer Fürsten geschlagen worden, wodurch das gesamte Hunnenreich ins Wanken geriet.
Als unmittelbare Folge der hephthalitischen Niederlage wurde Baktrien vorübergehend wieder dem Sasanidenreich eingegliedert, und auch Zabulistan, das von den Nezak beherrscht worden war, fiel in sasanidische Hand. Nur Kabulistan (Kapisi) verblieb unter der Herrschaft der Nezak-Könige. Mit der Niederlage des Mihirakula waren den Hunnen auch ihre indischen Besitzungen großteils verloren gegangen, und ein Teil der Alchan zog sich nach Kabulistan zurück. Dort vermischten sie sich mit den Nezak, und gegen Ende des 6. Jahrhunderts gelang es ihnen, die Sasaniden wieder aus Zabulistan zu verdrängen (s. Vitrinen 11 und 12).
Westtürken
Die Macht der Westtürken, die nach der Niederlage der Hephthaliten um 560 zu den unangefochtenen Herrschern Zentralasiens aufgestiegen waren, erreichte zu Beginn des 7. Jahrhunderts unter ihrem Anführer Tong Yabgu Khagan, der seine Residenz nördlich von Tschatsch (das heutige Taschkent in Usbekistan) eingerichtet hatte, ihren Höhepunkt. Das gesamte westliche Zentralasien von den Grenzen Persiens bis nach China unterstand seiner Herrschaft. Die Könige dieser Länder erhielten den Titel Iltäbär und waren ihm tributpflichtig. Nach dem Tod Tong Yabgu Khagans gelang es China jedoch, die Westtürken entscheidend zu schwächen und zwischen 658 und 661 die gesamten „Westlande“ unter seine Kontrolle zu bringen. Das riesige Gebiet zwischen Khotan und Persien wurde nun als chinesisches Protektorat Anxi eingerichtet und in 16 Distriktkommandanturen, zu denen etwa auch das Königreich Jibin (Kapisi / Kabulistan) zählte, gegliedert. In der Folge wurde China damit auch zur bedeutendsten Schutzmacht der zentralasiatischen Königreiche im Kampf gegen die Araber, bis es selbst im Jahre 751 in der Schlacht am Fluss Talas (heute in Kasachstan) den abbasidischen Truppen unterlag.
Nun aber zurück zu den Westtürken: Es ist unklar, wann diese aktiv in das Geschehen am Hindukusch eingriffen. Der erste Turk-Schahi, der Zabulistan, Kabulistan und Gandhara unter seine Herrschaft bringen konnte, war vermutlich Barha Tegin; er übernahm nach 661 n. Chr. die Herrschaft von den Nezak-Königen (s. Vitrinen 12 und 13). BarhaTegin entstammte wohl einer türkischen Dynastie, die sich schon seit längerem im nördlichen Zabulistan, im Grenzgebiet zu Kapisi (dieses Gebiet wurde vom chinesischen Mönch Xuanzang als Fulijistana bezeichnet), niedergelassen hatte.
Bereits zehn Jahre zuvor war das mächtige Reich der Sasaniden dem Ansturm der muslimischen Araber erlegen, die sich anschickten, weiter nach Ostiran und Zentralasien vorzudringen (s. Vitrine 16). 665 wurde Kabul erstmals von den Arabern geplündert, doch gelang es dem Kabul-Schah, rasch wieder die Oberhand zu gewinnen. Der Nachfolger von Barha Tegin auf dem Thron von Kabul war der aus den chinesischen Chroniken bekannte Wusan teqin sa, der auf seinen Münzen den Titel „Tegin, König von Chorasan“ oder „König des Ostens“ führt (s. Vitrine 14). Gemeinsam mit dem Herrscher von Zabulistan – er kommt in den persischen und arabischen Quellen mit dem Titel „Rutbil“ vor – bildete er die Speerspitze im Abwehrkampf gegen die Araber. Hoch betagt dankte Wusan teqin sa um 738/39 zu Gunsten seines Sohnes From Kesar ab, der sich weiter erfolgreich gegen die Araber zur Wehr setzte (s. Vitrine 15).
Auch in Baktrien und Sogdien standen die lokalen Fürsten in zähem Abwehrkampf gegen die arabischen Invasoren. Manche von ihnen beugten sich schließlich kampflos der arabischen Übermacht und traten zum islamischen Glauben über.
Hindu-Schahis
Um die Mitte des 9. Jahrhunderts wurde die türkische Dynastie der Kabul-Schahs von den so genannten Hindu-Schahis abgelöst (s. Vitrine 16). Um 870/71 wurde Kabul von Yaqub bin Laith, genannt al-Saffar (der Kupferschmied), erobert, und die Hindu-Schahis waren gezwungen, sich nach Gandhara zurückzuziehen. Die Herrschaft der Saffariden in Kabulistan war allerdings nur kurz, und es scheint den Hindu-Schahis gelungen zu sein, Kabulistan bald nach dem Tod Yaqubs 879 wieder in Besitz zu nehmen. Dies war umso bedeutender, als sich im Panjshir-Tal (150 km nördlich von Kabul) ergiebige Silberminen befanden, die wohl die primäre Quelle für die reiche Silberprägung der Hindu-Schahis darstellten. Das Ende der Hindu-Schahis in Kabulistan kam mit den Samaniden (874–1005), die von Buchara aus ganz Chorasan und Ostiran unter ihre Herrschaft zwangen. Die ersten, aus dem Silber des Panjshir-Tales geprägten samanidischen Dirhems sind aus dem Jahre 293 der Hidschra (= 905 n. Chr.) überliefert. Unter den Samaniden und Ghaznawiden (977–1186) vollzog sich schließlich auch die Islamisierung Kabulistans, womit ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte Afghanistans beginnt.