6. Alchan: Von den anonymen Clanchefs zu König Khingila

Als zweite hunnische Macht neben den Kidariten etablierten sich gegen Ende des 4. Jahrhunderts die Alchan. Bis zu diesem Zeitpunkt kontrollierten südlich des Hindukusch die Sasaniden die Gebiete bis etwa zum Khyberpass (s. Vitrine 2). Sie prägten dort, und zwar vermutlich in einer in Kabulistan gelegenen Münzstätte (Nr. 1), auch Münzen. Östlich des Khyberpasses dagegen, in Gandhara und Swat, herrschten die Kidariten (s. Vitrinen 3, 4, 5). Um 384/385 ging die Kontrolle in Kabulistan an die Alchan über, die auch die dort betriebene sasanidische Münzstätte übernahmen. Ob dies unter kriegerischen oder unter friedlichen Vorzeichen geschah, wissen wir leider nicht. Die Alchan modifizierten dort vorgefundene sasanidische Münzprägestempel, indem sie die Legende durch ihren baktrisch geschriebenen Stammesnamen „Alchanno“ ersetzten und ihre Stammessymbole (Tamgas) im Bildfeld platzierten, während das Porträt des sasanidischen Großkönigs zunächst beibehalten wurde (Nrn. 2–4). Münzen dieser Phase wurden in Begram (das alte Kapisa, 80 km nördlich von Kabul) und in Hadda bei Jalalabad in Afghanistan gefunden (Abb. C).

Am Beginn des 5. Jahrhunderts stellten die Alchan die Münzikonographie um und setzten statt der Büste des Sasaniden-Königs ihre eigenen Bildnisse auf die Vorderseiten, wobei jedoch die Porträts im neuen Typus fürs Erste stets barhäuptig sind; statt eines Diadems fungiert als Herrscheremblem die Halskette mit prominent dargestellten, im Nacken aufsteigenden Bändern (Nrn. 6–9). In den charakteristischen, sehr individuell wirkenden Porträts werden die künstlich deformierten Schädel der hunnischen Fürsten hervorgehoben, ein Schönheits- und Vornehmheitsideal, das von den Hunnen im Zuge der Völkerwanderung bis nach Europa verbreitet wurde. Um eine in die Länge gezogene Kopfform zu erreichen, lenkte man das Wachstum des Schädels im Kindesalter durch gezielte Bandagierung in diese Richtung. Aus heutiger Perspektive wirkt diese Sitte sehr befremdend, doch dürfte sie keinerlei gesundheitliche Einschränkungen mit sich gebracht haben.

Kontext
  • A. Stammeszeichen (Tamga) der Alchan

A. Stammeszeichen (Tamga) der Alchan

  • B. Die Ausgrabungen des buddhistischen Stupa von Shah-ji-ki-Dheri bei Peschawar (Pakistan) mit Resten der aufgedeckten Stupabasis. Die Ausgrabungen wurden in den Jahren 1908/09 und 1910/11 durchgeführt.
  • B. Detail der Stupabasis mit meditierenden Buddhas aus der letzten Bauphase des Monuments (7. Jh. n. Chr.) (©: The British Library Board, Photo 1006/2, 746)

B. Der monumentale Stupa von Shah-ji-ki-Dheri zählte zu den bedeutendsten buddhistischen Tempelanlagen in Gandhara. Bei den chinesischen Pilgermönchen war das Bauwerk, das angeblich vom Kuschan-König Kanischka I. (um 127/28 – 150/51) gegründet worden war, hoch berühmt. Heute ist von ihm allerdings nichts mehr zu sehen. Im Zuge der Ausgrabungen des Archaeological Department of India wurden im Jahre 1911 sechzehn in ein Tuch eingeschlagene Drachmen der Alchan aus der frühen Phase des Typs mit Turmschädel gefunden (vgl. Nrn. 8, 9), die nach Stil und Herstellungsart aus einer gemeinsamen Münzstätte stammen; sie ist vielleicht im unmittelbar benachbarten Puruschapura (Peschawar) zu lokalisieren.

Der chinesische Mönch Song Yun (s. Vitrine 9, Abb. C), der den Tempel im Jahre 520 besuchte, beschreibt ihn folgendermaßen: „Innerhalb der Pagode werden jederlei buddhistische Geräte aufbewahrt: Hier finden sich Gold und mit Edelsteinen verzierte Geräte tausenderlei Formen und eine Vielfalt, die zu nennen keine leichte Aufgabe wäre. Zum Sonnenaufgang leuchten die vergoldeten Schirme wie Feuer, während die leichte Morgenbrise die kostbaren Schellen zum Erklingen bringt. Von allen Pagoden der westlichen Welt ist sie bei weitem die bedeutendste.“

  • C. Der buddhistische Stupa von Tapa Kalan, Hadda (bei Jalalabad im Tal des Kabul-Flusses, Ost-Afghanistan) (5./8. Jh. n. Chr.) (©: Zemaryalai Tarzi)

C. Der buddhistische Stupa von Tapa Kalan, Hadda (bei Jalalabad im Tal des Kabul-Flusses, Ost-Afghanistan) (5./8. Jh. n. Chr.). (©: Zemaryalai Tarzi)

Im Reliquiendeposit des Stupas von Tapa Kalan, das in die zweite Hälfte des 5. Jhs. datiert, wurden über zweihundert sasanidische und byzantinische Münzen sowie vierzehn Drachmen der Alchan gefunden, darunter fünf des Khingila (vgl. Nr. 7 und Vitrine 7).

weitere Informationen
  • D: Tapa Shotor, Hadda. Stupabasis mit Darstellung eines Bodhisattva Maitreya (der zukünftige Buddha) umgeben von Verehrern; zu seiner Linken ein Mönch mit Blumen, zu seiner Rechten eine Mutter mit Kind (4./5. Jh. n. Chr.) (©: Wien, WHAV)

D. Tapa Shotor, Hadda. Stupabasis mit Darstellung eines Bodhisattva Maitreya (der zukünftige Buddha) umgeben von Verehrern; zu seiner Linken ein Mönch mit Blumen, zu seiner Rechten eine Mutter mit Kind (4./5. Jh. n. Chr.) (©: Wien, WHAV)

weitere Informationen