Tepe Maranjan
  • Stupa des buddhistischen Klosters von Tepe Marandschan (in Kabul) (©: Michael Alram)

Der buddhistische Komplex Tepe Maranjan liegt im Stadtgebiet des heutigen Kabul auf einem Hügel gleichen Namens. Allerdings ist der eigentlich hohe kulturhistorische Wert der Ausgrabungsstätte aufgrund der mangelhaften Dokumentation der Grabungsergebnisse etwas eingeschränkt. Die im Jahr 1933 unter Jean Carl und Joseph Hackin durch die Délégation Archéologique Francaise en Afghanistan (DAFA) durchgeführten Ausgrabungen sind lediglich in Form zweier kurzer Vorberichte publiziert, bei denen zudem der Text und die Abbildungen einander teils widersprechen. Zwischen 1981 und 1987 unternahm das Afghanische Archäologische Institut nahe des alten Grabungsplatzes (Tepe Maranjan 1) weitere Ausgrabungen am Fuß des Plateaus (Tepe Maranjan 2), die aber ebenfalls nie publiziert wurden. Dank des französischen Historikers Gérard Fussman, der den Platz kurz besuchen konnte, liegt seit einiger Zeit zumindest eine zusammenfassende Beschreibung der vor Ort sichtbaren Befunde vor. Es handelt sich um einen großen Stupa (Abb. F) – einen der größten in Afghanistan – und weitere, kleinere Stupas, welche den ersteren umgeben. Vier im Stupahof aufgelesene Münzen reichen von Kanischka I. (um 127/28 – 150/51) bis zu den Kuschano-Sasaniden oder Hunnen. In einem Schnitt durch das Zentrum des Hauptstupa fand sich das Reliquiendepot, welches vier Reliquiare und sieben Münzen enthielt, die Fussman dem indoskythischen König Azes II. (zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr.) zuweist. Damit wäre Tepe Maranjan 2 ein weiterer Beleg für die frühe Ansiedlung buddhistischer Einrichtungen in Afghanistan, möglicherweise schon zu Lebzeiten von Azes II. oder wenig später. Tepe Maranjan 1 markiert dagegen eine neue Phase, in der das Heiligtum nach der zwischenzeitlichen Errichtung einer kleinen Festung (qual`a) auf dem Platz von Tepe Maranjan 2 neu geweiht wurde. Ein in der qual`a gegen 385 verborgener Münzschatz datiert zum einen die Festung, die vor diesem Zeitpunkt errichtet bzw. nach demselben aufgegeben worden sein muss, damit aber zum anderen auch das Heiligtum Tepe Maranjan 1, das westlich der qual`a liegt und nach Fussman in das 6. oder 7. Jahrhundert fällt.

Zwei an der Außenseite der Festung gefundene Nischen gehören ebenfalls in diese spätere Phase. In einer davon, die bei der Auffindung zugemauert war, fand sich ein bedeutendes Bodhisattva-Bildnis, das heutzutage, nachdem es von den Taliban zerstört wurde, in restaurierter Form im Museum von Kabul wieder zu sehen ist. Kurz vor dem nicht präzise datierbaren Ende der Nutzung des Heiligtums ist nämlich eine auch anderswo zu beobachtende Phase des Verfalls einzuordnen, in der teilweise bereits beschädigte Skulpturen von ihren Standorten eingesammelt und sorgfältig an geschützten Orten deponiert wurden.

Die Beziehung zwischen Tepe Maranjan 1 und der Festung bleibt dabei bis auf weiteres unklar. Im Gegensatz zu Fussman ist etwa der japanische Forscher Shoshin Kuwayama der Ansicht, dass die Festung mit ihren Nischen und der Stupahof demselben chronologischen und funktionalen Zusammenhang angehören. Ihm zufolge könnte die Nische auch wegen einer Hangsetzung verschlossen worden sein, und die runden Bastionen, die dem Ganzen den festungsartigen Anstrich geben, könnten genauso eine rein statische Funktion haben. Dies würde eine wesentlich frühere Datierung für die genannte Bodhisattva-Skulptur implizieren, was in der Tat besser zu den deutlichen erkennbaren Merkmalen der klassischen Gandharakunst, passen würde. Falls dieses Modell zutrifft, könnte die Versiegelung der Nische samt ihrem Inhalt damit erklärt werden, dass hier, wie etwa auch in Tapa Sardar (s. Vitrine 15), veraltete Kultobjekte im sakralen Zusammenhang rituell „begraben“ wurden, also als buddhistische Entsprechung zu den sogenannten favissae, die in antiken Heiligtümern im Mittelmeerraum dem gleichen Zweck dienten.