15. Die Rutbils von Zabulistan und der „Kaiser von Rom“

Der erste Rutbil von Zabulistan hatte nach 680 seine Unabhängigkeit vom Königreich Jibin (Kabulistan) erklärt. Wie uns die arabischen und chinesischen Quellen berichten, war er ein älterer Bruder des Königs von Kabul, des „Chorasan Tegin Schah“ (s. Vitrine 14), der sich nach dessen Thronbesteigung mit diesem überwarf und in Zabul ein eigenes Königreich gründete. Dabei dürfte er sich anfänglich arabische Unterstützung gesichert haben. Rutbil ist ein Titel, der dem türkischen Iltäbär entspricht und in der arabischen Überlieferung fortan für den König von Zabulistan belegt ist. Die persönlichen Namen der verschiedenen Herrscher sind uns aus den schriftlichen Quellen nicht bekannt. Das Ende des zabulitischen Königreichs, das gemeinsam mit Kabul an der Spitze des langen Widerstandes gegen die muslimischen Eroberer stand, kam erst um 870, als der arabische Feldherr Yaqub bin Laith al-Saffar (reg. 861 – 879) von Sistan aus den gesamten iranischen Osten eroberte und dabei auch Zabul endgültig in die Knie zwang.

Im Zentrum des Königreiches Zabul lag die Stadt Ghazni, die als eine von drei Residenzen des Königs fungierte. Im Nordosten grenzte Zabul an Kabulistan, im Nordwesten reichte es bis in den zentralen Hindukusch (s. Vitrine 12), während im Süden zeitweise die Städte Rachwad (al-Rukhkhaj) und Bost (bei Kandahar, Süd-Afghanistan) dazu zählten. Im Westen verlief die Grenze etwa entlang des Helmand-Flusses, während die Ostgrenze durch das Suleiman-Gebirge gebildet wurde.

Dem Reisebericht des chinesischen Mönchs Xuanzang aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts ist zu entnehmen, dass in Zabul zahlreiche buddhistische Stupas existierten, die noch vom indischen Maurya-Herrscher Aschoka (268 – 232 v. Chr.) errichtet worden sein sollen; ebenso zählte er mehrere hundert buddhistische Klöster sowie einige Dutzend Hindu-Tempel. Über die Landesgrenzen weithin berühmt war das Heiligtum des brahmanischen Gottes Zun, das jährlich tausende Pilger anzog. Als der arabische Gouverneur von, Sistan ‛Abd al-Rahman ibn Samurah, 653/54 mit seinen Truppen in Zabul einfiel, führte ihn sein Weg auch zum Tempel des Zun. Um die Machtlosigkeit des heidnischen Gottes gegenüber den Muslimen zu demonstrieren, schlug er dem goldenen Standbild beide Arme ab und riss ihm die von Rubinen gebildeten Augen heraus.

Kontext
  • A. Stammeszeichen (Tamga) der Turk-Schahis von Kabul und Zabul

A. Stammeszeichen (Tamga) der Turk-Schahis von Kabul und Zabul

  • B1. Kopf einer Göttin aus der späten Periode (8. Jh.) des buddhistischen Heiligtums von Tapa Sardar (bei Ghazni, Zabulistan). Bemalter Ton, H. ca. 64 cm (©: Rom, IsIAO)

B1. Kopf einer Göttin aus der späten Periode (8. Jh.) des buddhistischen Heiligtums von Tapa Sardar (bei Ghazni, Zabulistan). Bemalter Ton, H. ca. 64 cm. (©: Rom, IsIAO)

Dargestellt war hier eine buddhistische Version der Hindugottheit Durga, die gerade den Dämon Mahischa tötet, der in menschlicher Erscheinungsform aus dem Rumpf eines enthaupteten Büffels hervorkommt.

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  • B2. Hypothetische Rekonstruktion der Durgaskulptur von Tapa Sardar (©: Rom, IsIAO)

B2. Hypothetische Rekonstruktion der Durgaskulptur von Tapa Sardar. (©: Rom, IsIAO)

Die Rekonstruktion basiert auf den Photographien der vorhandenen Fragmente sowie der engen Parallele einer gleichzeitigen Marmorskulptur desselben Sujets aus Gardez, Afghanistan (blau). Weitere Partien sind in Analogie zu anderen Skulpturen aus dieser Zeit ergänzt, die vom selben Fundort stammen (grün).

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  • C. Kleiner, sternförmig angelegter Stupa aus der späten Periode von Tapa Sardar (8. Jh.). Ton; maximale erhaltene H. 1 m (©: Rom, IsIAO)

C. Kleiner, sternförmig angelegter Stupa aus der späten Periode von Tapa Sardar (8. Jh.). Ton; maximale erhaltene H. 1 m. (©: Rom, IsIAO)

Solche kleinen Stupas, die sich mit ebenfalls aus Lehm gefertigten, thronenden Figuren abwechselten, wurden während der letzten Phase von Tapa Sardar um den Hauptstupa herum aufgestellt. Ihre charakteristische Form entspricht derjenigen des sogenannten „Stupas des Abstiegs“. Sie bezieht sich auf die Herabkunft des Buddha aus dem Trayastrimascha-Himmel, wohin er kurz nach seiner Erleuchtung gegangen war, um seiner dort wiedergeborenen Mutter die Lehre zu predigen. Diese „Herabkunft“ markiert den Beginn der Lehrtätigkeit des Buddha und symbolisiert darüber hinaus die Verbreitung der Lehre in alle Richtungen, was hier auch durch die allgegenwärtigen kleinen Buddhafiguren angedeutet ist.

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  • D. Ein Restaurator in Tapa Sardar bei der Arbeit (©: Rom, ISIAO)

D. Ein Restaurator in Tapa Sardar bei der Arbeit. (©: Rom, ISIAO)

Fast alles in Tapa Sardar besteht aus Ton, einem geschmeidigen und gut formbaren Material, das den Architekten und Bildhauern fast unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfeinerung ihrer Kunst bot. Zugleich ist Ton jedoch sehr empfindlich, denn die feste Bindung verliert sich im Lauf der Zeit, so dass aus Ton gefertigte Objekte im archäologischen Schichtverband häufig nur mehr als formlose Masse oder allenfalls in äußerst fragilem Zustand vorhanden sind. Aus diesem Grund ist bei der Freilegung sowie bei der Konservierung und Restaurierung, aber auch bei der Dokumentation jedes einzelnen Fundes sehr viel Fingerspitzengefühl vonnöten.

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  • E. Marmorstatue des Gottes Ganescha. Sie wurde in Gardez (Ost-Afghanistan) gefunden und später im Hindu-Tempel Dargha Pir Rattan Nath in Kabul aufgestellt. (©: Shoshin Kuwayama)

E. Marmorstatue des Gottes Ganescha. Sie wurde in Gardez (Ost-Afghanistan) gefunden und später im Hindu-Tempel Dargha Pir Rattan Nath in Kabul aufgestellt. (©: Shoshin Kuwayama)

Der in der Weiheinschrift genannte „König Khingala, König von Uddiyana“ könnte mit dem aus den chinesischen Quellen bekannten Kabul-Schah Bo Fuzhun identisch sein, der seinem Vater Fulin Jipo (From Kesar) 745 auf den Thron folgte und vom chinesischen Kaiser auch als König von Uddiyana (Swat) investiert wurde.